Ein häufiger Irrtum, den ich immer wieder höre, ist, dass Ballett nur aus Technik besteht—dass die perfekte Ausführung einer Pirouette oder eines Grand Jeté das höchste Ziel sei. Aber ist das wirklich so? Diese Sichtweise greift viel zu kurz und verkennt, was Ballett tatsächlich ausmacht. Es geht nicht nur um die Bewegung, sondern um die Geschichte, die erzählt wird, die Emotion, die spürbar wird. Wer Ballett nur als eine Abfolge von Schritten versteht, übersieht den Kern: Ballett ist Kommunikation, eine Sprache ohne Worte. Und hier liegt der entscheidende Unterschied in unserer Perspektive. Wir betrachten nicht nur die Technik, sondern auch die Fähigkeit, authentische Geschichten zu transportieren und das Publikum wirklich zu berühren. Das wird oft übersehen, und das ist schade, denn genau darin liegt die Magie. Was wird dadurch möglich? Viel mehr, als man auf den ersten Blick denkt. Es geht nicht nur um bessere Chancen in der Branche—obwohl das natürlich ein angenehmer Nebeneffekt ist. Es geht vielmehr um eine ganz neue Art, die eigene Kunst zu erleben und zu verstehen. Wer lernt, nicht nur Bewegungen, sondern auch Intention und Ausdruck zu meistern, sieht plötzlich, dass die Bühne ein Raum unendlicher Möglichkeiten wird. Man erkennt, dass kleine Nuancen, ein Blick oder eine winzige Verzögerung in der Bewegung, eine ganze Szene verändern können. Das erinnert mich an einen Tänzer, den ich einmal auf einer kleinen Bühne in Hamburg gesehen habe—sein Sprung war vielleicht technisch nicht perfekt, aber die Art, wie er mit der Musik verschmolz, war atemberaubend. Genau solche Momente entstehen, wenn man über die reine Technik hinausgeht. Und das ist es, was wir mit "Kreativität" meinen: die Fähigkeit, etwas Eigenes, Echtes in die Welt zu bringen.
In der ersten Woche geht es oft direkt in die Grundlagen – die Haltung, die Balance, und, ganz wichtig, das Verständnis für den Raum. Kein großes Tempo, eher wie ein langsames Aufwärmen. Aber dann, schon in der zweiten Woche, wird alles schneller. Die ersten Kombinationen werden geübt, und plötzlich spürt man, wie anspruchsvoll selbst die simpelsten Bewegungen sein können. Manche Schüler verlieren hier schon die Geduld, wenn sie merken, dass ihre Füße nicht das tun, was ihr Kopf will. Verständlich. Wer hat schon Lust, wieder und wieder dieselbe Pirouette zu drehen, bis sie halbwegs anständig aussieht? Aber genau hier wird klar: Wiederholung ist alles. In Woche vier, spätestens, merkt man den Rhythmus. Es gibt Momente, in denen der Fokus komplett auf den Sprüngen liegt – Assemblé, Jeté, und dann diese ewigen Arabesquen. Und dann, mittendrin, die Ansage: „Pause. Schaut euch an, was ihr macht.“ Es ist seltsam, sich selbst im Spiegel zu sehen, inmitten dieser Bewegungen, die noch nicht fließen. Ein Blick zur Seite, und man sieht einen anderen Tänzer, der dasselbe Problem hat. Da entsteht so eine stille Solidarität. Und manchmal – ganz selten – springt jemand so leicht, dass der ganze Raum kurz still wird.